Ein verunglückter Luftschiffer

Vielleicht hat sich der Eine oder Andere schon einmal in der verwinkelten Gässchen in der Jakobervorstadt verirrt und ist  im Rahmgartengäßchen auf diese etwas wundersame Schrifttafel gestolpert.

Salomon Idler (1) Die Geschichte dazu habe ich in diesem Buch gefunden: Alt-Augsburg II von  August Vetter, 1928:

In der Zeit, wo Paris und Berlin in den Wettstreit eingetreten sind, ob Frankreich oder Deutschland das beste lenkbare Luftschiff besitze, dürfte eine drollige Erinnerung an das aeronautische Experiment eines biederen Augsburger Schusters erweckt werden, dass merkwürdigerweise in Vergessenheit verfiel. Besagter Schuhmacher hieß Salomon Idler und hatte seine Werkstatt an den Gestaden des Lauterlech, allwo er vom Morgen früh bis in den späten Abend Schuhe fabrizierte, die Sohlen klopfte, dass man seinen Eifer weit und breit hörte. Aber doch scheint es, als ob unser guter Salomon Idler lieber den Spatzen und Schwälblein ihre lustige Kunst beobachtet hätte, als sein edles Handwerk; denn einstmals warf Meister Salomon sein ganzes Handwerkszeug über den Haufen, kaufte sich beim „Papierer“ mächtige Bögen und Reißblei und fing an zu zeichnen, als wollte er gleich den Stadtbaumeister Elias Holl übertrumpfen. Aber Meister Salomon ließ seiner nicht spotten, zeichnete und zeichnete fest darauf los, sah dazu fleißig zum Fenster hinaus, „wie die Spätzlein fliegen und die Schwälblein sich in den Lüften wiegen“.

Und siehe da! Eines Tages, da begab sich unser großer Meister, denn das bedünkte er sich ganz sicherlich, zu Meister Rauber, dem sinnigen Schlossermeister im Stoygässchen, und bestellte allda ganz geheimnissvoll allerlei eiserne Stängelein und Riegelein; dann wanderte er zum Schreinermeister Schachinger im Pilgerhausgässlein und bestellte da allerlei wundersame Gestelle, so dass sich darüber selbst der Ehren-Schachinger gar arg verwunderte. Wie nun die Meister mit ihren Aufträgen fertig waren, da lieferten sie prompt, wie sich das für richtige Handwerksmeister wohl geziemt, dem Meister Salomon Idler ihre kunstvollen Erzeugnisse ab. Weil nun aber die Vögelein in der Luft bekanntlich ein leichtes Federkleid tragen, so musste natürlich unser sinnreicher Schuster auch daran denken, sich eine solche Gewandung zu verschaffen, auf dass er mit reichen Federstaate seine Stänglein und Gestelle ausstaffierte. Da geschah nun ein gräulich Morden unter des Lauterlechs Gänslein und Entlein, welche bis dahin in diesen Gewässer ein beschaulich Dasein geführt. Aber Meister Idler ließ sich nicht beirren: Ihn genierte nicht im geringsten das Todesgestöhne besagten Geflügels. Mit den Federn dieser nützlichen Tiere putzte er seine Maschine gar fein säuberlich aus und aß dazu Gansviertel ohne Zahl, denn zu solchen Tun brauchte man auch wohl etwas für des Leibes Nahrung und Notdurft.

So wurde also nach und nach unseres Meisters Flugapparat fertig, und Salomon Idler hoffte schon in Bälde, wenn auch nicht die lieben Engelein im Himmel einen Besuch abzustatten, so doch mindestens auf dem Mond einen kleinen Spaziergang zu riskieren.

Wie es aber großen Erfindern immer geht, es fehlte allenthalben an dem Verständnis für dieses Unternehmen, und namentlich war es Idlers Beichtvater, der hochwürdige Herr Pater Placidus von den Kapuzinern, welcher von Idlers Vermessenheit und tollem Gebaren Wind bekommen hatte. Pater Placidus suchte in ernsten Worten seinem Beichtkinde das Tolle seines Unternehmens begreiflich zu machen, redete ihm zu, nach dem alten Sprichwort, doch beim Leisten zu bleiben und das Fliegen jenen zu überlassen, die unser Herrgott dazu erschaffen. Aber da kam der guter Pater Placidus schön an, denn Meister Salomon schwebte eigentlich im Geiste schon nicht mehr auf Erden: er sah sich im Traume und im Wachen im Himmel, oder gar noch ein Stück weiter, umher schweben, und damit er sozusagen  nun gleich einen Vorsprung habe, beabsichtigte er vom Perlachturm aus seine „Himmelfahrt“ zu beginnen.

Über solche Anmaßungen erschrak aber Pater Placidus gar sehr und gab sich alle erdenkliche Mühe, sein Beichtkind wenigstens von der verrückten Idee, von dem hohen Perlachturme aus seinen Flug zu beginnen, abzubringen. Denn dem guten Pater tat’s um das Sehlenheil und die Knochen des sonst ganz braven Idler leid, und darum brachte der Pater es endlich nach Aufwand von vielerlei Beredsamkeit dahin, den Erfinder davon zu überzeugen, dass es eigentlich eine größere Kunst wäre, vom Erdboden aus auf den Perlachturm hinauf zu fliegen, als umgekehrt vom Perlachturm auf den Erdboden.

Bevor nun aber unser Idler zu seinem Ausflug nach dem Mond bzw. dem Himmel schritt, sollte nun in der Nähe seiner Behausung, im Rahmgässlein, ein kleiner Versuch gemacht werden. Selbstverständlich wurden zu dieser Probe alle Vettern, Basen und Kollegen eingeladen, die natürlich auch ankamen und Kind und Kegel mitbrachten, um das Tun ihres großen Anverwandten zu bewundern.

Es war nachmittags um drei Uhr, wo der neue Dädalus seinen Flug sonnenwärts beginnen sollte. Würdevoll, angetan mit seinen Fluggewande, schritt Meister Idler aus dem Hause, in welchen er sich angezogen, bestieg eine Leiter, um vom Dache eines Holzschuppens aus seine Reise zu beginnen. Staunen erfasste alle, als der küne Schuster seine mächtigen Flügel ausbreitete; wie der Storch im Sumpfe stand er da und machte Schläge mit seinen Flügeln wie der stolze Aar, aber mit dem Fliegen wär’s schon gegangen, wenn nicht des guten Schusters Leib gar so eigensinnig gewesen und fast wie angenagelt auf dem Dach des Schupfens stehen geblieben wäre.

Armer Schuster, das kam wohl von den viel zu vielen Gansvierteln, welche du in der letzten Zeit vertilgt hast. Herr Gott, die Schande, dachte sich Meister Idler, die ganze Zunft hat den Spott, wenn ich nicht in die Höhe komme; es muss gehen, und plötzlich machte es einen gewaltsamen Ruck, aber es ging nicht himmelwärts, sondern auf den Hennenstall unten „flog“ unser Schuster mitsamt seiner Flugmaschine, allwo er noch durch seinen Fall drei junge Hennlein das unschuldige Lebenslicht ausbließ.

Die Zuschauer, Vettern, Basen und Handwerkskollegen gingen nach solchen Geschehnis erstaunt auseinander; nun hatten sie einen fliegen sehen, wenn auch nicht in die Wolken, aber „geflogen“ ist er doch, so meinten wenigstens viele.

Meister Idler verdroß die Sache aber dermaßen, dass er noch selbigen Tages mit seiner Maschine hinaus bis gen Oberhausen wanderte; dort auf freien Felde angekommen, erfasste ihn mächtiger Grimm, er zog sein Beil heraus und hieb auf das undankbare Flugzeug mit solchen Ungestüm ein, dass die Fetzen weit und breit umherstoben. Er hat danach das Fliegen nie wieder probiert, auch zum Schustern hatte er keine rechte Freude mehr, aber – Theaterdirektor ist er geworden.

 

This entry was posted in Anno dazumal. Bookmark the permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


*